Die Europameisterschaft ist bald vorbei, womit die Einschränkungen des öffentlichen Lebens in Wien wohl bald wieder Vergangenheit sein werden. Ob diese Einschränkungen negativ oder positiv waren muss wohl jedeR für sich selber entscheiden. Eine dieser Einschränkungen war die Komplettsperre des Rings zwischen Heldenplatz und Rathausplatz. Bereits bei Bekanntwerden dieser Sperre jubelten die Grünen und forderten, dass diese Sperre permanent wird, etwas das natürlich von den autohörigen Parteien und Organisationen aufs härteste kritisiert wurde, indem Schreckensgespenster von chaosartigen Zuständen in Wien an die Wand gemalt wurden. Inzwischen ist die EM in Gange und was ist mit den chaosartigen Zuständen? Selbst ÖVP, ÖAMTC und ARBÖ müssen zugeben, dass das Verkehrschaos ausgeblieben ist.
Straßenbahn am Ring
Auch ich selber hab die Ringsperre kritisiert, allerdings nicht wegen des fehlenden Autoverkehrs, sondern wegen der Kompletteinstellung des Straßenbahnbetriebs in diesem Bereich. Dass durch die EM-Fanzone keine Straßenbahn fahren kann ist durchaus nachvollziehbar, leider musste die Straßenbahn in einem viel größeren Bereich eingestellt werden. Da aber die Fans auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen sind und auch von der Stadt dazu aufgerufen wurden die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen, finde ich dies fahrlässig. Die Straßenbahnlinie 1 (und damit auch 2) verkehren nur auf der Strecke Schottentor Schwedenplatz Schwarzenbergplatz Karlsplatz, die Linie D wird über den Kai umgeleitet, der J bis zum Gürtel gekürzt und ein Schienenersatzverkehr eingerichtet, die Linie 2A komplett eingestellt. Besonders die Kürzung der Linie 1 zum Karlsplatz schmerzt, ist der Ring damit schon ab Schwarzenbergplatz Straßenbahnfrei und damit auch die Oper.
Alternativen
Die Stadt hätte aber die Gunst der Stunde nutzen sollen und ein paar kleine Änderungen durchführen, die den Straßenbahnverkehr nachhaltig verbessern hätten können. Die Linie J muss das Schicksal der Kürzung bis zum Gürtel sehr oft erleiden, finden doch häufig Veranstaltungen am Ring statt (Demos, Umzüge, …). Dabei könnte mit einem Betriebsgleis hinter dem Parlament eine Ausweichstrecke geschaffen werden und die Linie damit zum Dr. Karl-Renner-Ring geführt werden.
Bei der Babenbergerstraße (also Haltestelle Burgring) hätte eine Schleife errichtet werden können (zumindest temporär) und damit der Straßenbahnverkehr bis dorthin aufrecht erhalten werden. Damit wäre die Fanzone um einiges besser erreichbar gewesen. Die Kosten? Im Vergleich was andere Aktionen wie die Umgestaltung des Prater Vorplatzes oder der U2-Verlängerung zum Stadion gekostet haben, lächerlich. Vielleicht hätte diese Kosten sogar die UEFA getragen.
Ein kleiner geschichtlicher Exkurs
Bald ist die EM vorbei und damit wird wieder der Autoverkehr den Ton (bzw. Lärm) am Ring angeben, fließt dieser doch auf drei Fahrstreifen und hohen Geschwindigkeiten dahin. Eigentlich schade, wurde der Ring doch ursprünglich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Flaniermeile angelegt. An seiner Stelle waren vorher die Befestigungsanlagen der Stadt Wien, alles außerhalb war bereits Vorstadt. Rundherum war das Glacis, eine unbebaute Fläche die für Kämpfe freigehalten wurde. Dieses Gebiet wurde nach Schleifung der Befestigungsanlagen neuen Nutzungen zugeführt, Nutzungen die noch heuer viele, viele TouristInnen nach Wien locken: Stadtpark, Staatsoper, Natur- und Kunsthistorisches Museum, Volkstheater, Parlament, Rathaus, Burgtheater und Universität Wien. Der Ring wurde als Flaniermeile für den Adel angelegt, der Verkehr musste sich mit der Lastenstraße am äußeren Rand des Glacis begnügen (Rathausstraße, Getreidemarkt, Heumarkt … sprich die heutige Zweierlinie).
Inzwischen ist von dieser Idylle am Ring leider wenig über. Immerhin gibt es durch die Baumreihen viel Grün, aber der rasende Autoverkehr mit seinen drei Fahrstreifen zwingt die FußgängerInnen an den Straßenrand, wo sich noch dazu der Ringradweg (einer der meistbefahrenen Radwege Wiens) durchschlängelt.
Ring autofrei?
Die Grünen haben in den letzten Wochen mehrmals ihre Forderung nach einer permanenten Ringsperre wiederholt (zumindest an Sonntagen), in den letzten Tagen hat auch Hermann Knoflacher, Universitätsprofesser für Verkehr an der TU-Wien und bekannter Gegner des motorisierten Individualverkehrs, diese Forderung aufgestellt … und wurde dafür natürlich aufs schärfste kritisiert. Die Verkehrsclubs sehen das Ausbleiben des Verkehrschaos darin, dass die Leute sich halt eingeschränkt haben (Urlaub, Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel).
Der ÖAMTC überspannt den Bogen allerdings maßlos in dem er schreibt:
Gerade in Zeiten stetig steigender Verkehrskosten ist eine
Forderung nach massiver Verkehrserschwernis ein Schlag ins Gesicht
jener Hunderttausenden Österreicherinnen und Österrreicher, die auf
die Wahl des Kfz als Träger ihrer Mobilität angewiesen sind.
Meiner Ansicht nach braucht es gerade derzeit (Gerede über den Klimawandel, steigende Ölpreise) mutige Ideen um den Leuten zu zeigen, dass es Alternativen zum Auto gibt, ohne Einschränkung der Lebensqualität im Gegenteil sogar, mit massiven Steigerungen der Lebensqualität.
Die Wiener Linien würden sich über die Ringsperre scheinbar freuen, nachdem sie im Artikel schreiben: „Fakt ist, die U2 hat das, was die Ringsperre möglicherweise ausgelöst hat, locker aufnehmen können“. Dies könnte man so interpretieren, dass sie auch die Straßenbahn gleich einstellen wollen. Die Wiener Linien hassen den Oberflächenverkehr scheinbar so sehr, dass jede Möglichkeit für Einstellungen sofort genutzt wird, dabei fördert dieser nachweislich die lokale Wirtschaft (die meisten Straßen die den Straßenbahnverkehr verloren haben, wurden dadurch wirtschaftlich ruiniert: Meidlinger Hauptstraße, Favoritenstraße innerhalb des Gürtels, Wiedner Hauptstraße vor dem Matzleinsdorferplatz, und und und).
Was sind meine Träume?
Den Ring autofrei zu machen oder zumindest extremst zu beruhigen würde diesen sehr beleben. Die Menschen (EinwohnerInnen als auch TouristInnen) könnten sich ausbreiten und das Grün mit den historischen Sehenswürdigkeiten genießen. Mein Vorbild wäre da die Las Ramblas in Barcelona: Die Menschen spazieren und genießen die Umgebung, auf den Fahrstreifen am Straßenrand kommt dann und wann ein Auto, dass aber langsam fahren muss und daher leise ist. So könnte der Ring auch sein. Der Großteil des Platzes gehört den Menschen, die sich an den Standeln und KünstlerInnen erfreuen, deneben fährt die Straßenbahn und am Rand gibt es einen gemeinsamen Fahrstreifen für Fiaker, den motorisierten Individualverkehr und den Radverkehr. Schneller muss es nicht gehen, dafür gibt es ja die Lastenstraße.
Fazit
Im Laufe der nächsten Woche wird der Ring wieder für den Verkehr freigegeben werden, womit der normale Wahnsinn wieder einkehren wird. Ich befürchte, dass sich in Wien nicht so schnell etwas ändern wird. Aber man wird doch noch träumen dürfen, oder?
selbst new york schafft es große straßen, zumindest temporär, zu sperren, ohne verkehrschaos:
http://www.streetfilms.org/archives/summer-streets-2008-nyc/
http://www.streetfilms.org/archives/summer-streets-2009/